Pfarrer Martin Michaelis (Pfarrervertretung Mitteldeutschland / Deutscher Pfarrerverband)

Soll das Lob Gottes wegen der Infektionsgefahr digitalisiert werden? Martin Michaelis 

1. Zerquetscht zwischen Wissenschaftsgläubigkeit und Massenpsychose 

Es ist eine verrückte Zeit, den Wohlstand und Verstand absehbar zerstörend und die Seelen, den Gemeinsinn und das Gemüt – ein leider kaum noch gebräuchliches Wort – verstörend. Wie nie zuvor wird die Gesundheit zur anzubetenden Göttin gekürt. Als großes Ziel drängt sie sich vor alles andere, geschickt verdeckend, dass die enormen Opfer in Wirklichkeit dem Tod dargebracht werden. Das Ganze entwickelt sich zu einem Opferkult, der das Leben in einer Weise durchdringt, die an Sekten erinnert, in dem Nachrichten zu Gebetsmühlen verkommen: Seit einem Jahr stimmen die Montagszahlen nicht, weil davor ein Wochenende lag. Seit vierzehn Monaten werden Tag für Tag die Toten addiert, die einer einzigen Krankheit, der Schrecken unters Volk gebracht. Abgeordnete und Pharmaindustrie sammeln und teilen sich währenddessen die Kollekte. Die Kriegsrhetorik feiert fröhlichen Urstand. Emmanuel Macron erklärt den Viren den Krieg. Olaf Scholz holt die große Bazooka aus der historischen Waffenkammer, wobei es sich bei der Munition offenbar weitgehend um wirkungslose Übungsmunition handelt, falls nicht und sie nicht geklaut wurde, lässt die Zielgenauigkeit zu wünschen übrig. Karl Lauterbach lallt von der letzten Patrone, wobei er schon wieder gelogen hat, denn nach der letzten Patrone wäre sonst nämlich endlich Schluss gewesen mit dem selbstvernichtenden Stellungskrieg gegen die Corona-Guerilla. Die Coronaleugner und -verharmloser werden längst getoppt von den Coronaleugner-und- verharmloser-Verleumdern, die erstere zu dem machen, was für die Kriegsrhetorik gebraucht wird. Damit lassen sich die Polizeieinsätze rechtfertigen, Schläge Tritte, Pfefferspray, Wasserwerfer, ein von der Polizei umgeworfener Journalist usw.. Nur das einsam „fliegende Ei von Stuttgart“ wird in die Geschichte von Phönix eingehen. Die auf ein Minimalspektrum reduzierte Wissenschaft, auf einen der Nebenaltäre gehievt, wird zur Keule gegen jede Form der Kritik. Die Spirale dreht sich immer schneller, entfaltet folgerichtig Fliehkräfte, die jeden, der sich nicht am Zentrum der Meinungsvorgaben festklammert, erbarmungslos und unwiederbringlich in die Unendlichkeit der ewigen Querulantenverdammnis schleudert. 

Die Synode der EKM entschließt sich im April 2021 (Drucksachen-Nr. 13.2/2) zu der Aussage: „Wir distanzieren uns von jeglicher Corona-Leugnung: Auch hier verlangt Nächstenliebe Klarheit.“ um zwecks Schadensbegrenzung sogleich nachzuschieben: „Sie bittet alle Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, zusammen zu bleiben und verantwortungsvoll zu agieren – auch in mancher Zerreißprobe.“ 

Man distanziert sich und bittet zugleich zusammenzubleiben? Es erinnert mich an eine äußerst ambivalente Botschaft eines Vaters an sein nicht folgsames Kind: „Komm, geh weg!“ Der konsternierte Blick des Kindes ist mir in Erinnerung geblieben. Frieden durch Ausgrenzung, verstehe ich das richtig? Genügt es, wenn „die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger zusammenbleiben“? Und die anderen, durch den Leugnungsvorwurf zu Leugnern diffamiert, sind dann auszustoßende Störenfriede des Zusammenseins? Warum macht sich eine Synode solches Vokabular zu eigen? „Nächstenliebe verlangt Klarheit“ – auch hier? War das nicht der Titel einer Aktion gegen Rechtsextremismus?! Hat man das vergessen oder geschah das bewusst? Warum beteiligt sich eine Synode aktiv an diesem entsetzlich-unterirdischen Framing, das Menschen in die letzte verfügbare Ecke stellt, die die Sorge um die Zukunft auf die Straßen treibt, die Frieden und Freiheit und keine Diktatur wollen, die sich mit Kreuzen und Jesusplakaten als Christen outen, die beten und singen? Sie werden mit Rechtsextremismus in einem Atemzug genannt, ganz dezent umrahmt – das ist Framing. Ob sich die Nächstenliebe, so missbraucht und in den Dreck gezogen, davon wird erholen können? Es ist beängstigend. 

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Um den Tod zu besänftigen, wird so viel aufgegeben, wie Johann Tetzel, nie zu hoffen gewagt hätte. In einer Welt, die mittels statistisch errechneter Lebenserwartung das Glauben verlernt hat, wird der Tod mehr gefürchtet als die Hölle. Man reduziert die Hoffnung auf das nackte Dasein, opfert ihm die Freiheit, das Bruttoinlandsprodukt, das gezeigte Gesicht, also den wortlosen Austausch der Gefühle, jedes Lächeln, sogar das gesungene Lob Gottes. Wer nicht bereit ist sich mitzufürchten, wird zum Leugner der Gefahren, zum Gefährder des Nächsten. Eine Pfarrerin (dem Verfasser bekannt) wird beim Ordnungsamt angezinkt, weil sich zu einer noch bevorstehenden Trauerfeier zu viele einfinden und sich nicht an die Regeln halten könnten. In dieser Spirale wird alles verdreht: Der unter die Räuber Gefallene wird demnächst den Samariter und den Wirt anzeigen, weil sie ihm zu nahe gekommen sind. Als ob nicht eine kalkulierte Geringschätzung der Gefahren immer lebenseröffnend, ja notwendig gewesen wäre und jedes Glas Wein, dem gesprächigen Gesellen eingeschenkt, dessen Leben zwar schaden könnte, aber trotzdem genossen wird. 

Die Kirchen begannen irgendwann das Reden vom Tod zu vermeiden, Paulus verleugnend sich wieder für das Kreuz zu schämen. Es wurde ihnen peinlich, all das anzuerkennen, was das Leben schwer macht, solange bis auch die Auferstehung und das Reich Gottes weniger wichtig war als die Rettung im Diesseits zwecks banalen Lusterhalts, inzwischen weiter reduziert auf den bloßen Existenzerhalt, nur um seinem Leben die bibelsprichwörtliche Spanne hinzuzufügen. 

Dass die Vorfahren in der Kraft Jesu Christi von Leid und Tod zu reden fähig waren, lag nicht an ihrer Verliebtheit in Schwermut und Selbstgeißelung. Stattdessen haben sie sich nicht billig vom Tod distanziert, sondern ihn hinter den zu Götzen gewordenen Zeitgeistern hervorgezerrt. Sie haben den Mut besessen, sich seine Fratze anzusehen, um seiner Forderung nach Opfergaben zu widerstehen. Ihre leidvoll gewonnenen Erkenntnisse leichtsinnig verachtend beteiligten sich im zweiten Jahr der Ostergottesdienstabsagen an der Huldigung des Todes gerade diejenigen, die aus Glauben um die Grenze seiner Macht wissen müssten. Die Kirchenfernen sehen das von Ferne und reiben sich verständnislos die Augen. Die Quelle des Glaubens scheint zu versiegen, das sprudelnde Wasser des Lebens zur muffigen Zisterne zu werden. Die Bibel verstaubt unter dem, was die geschäftige Angst aufwirbelt. Die sich medial vordrängelnde Kirche (an der Basis tut man dagegen noch weitestgehend treu-unauffällig seinen Dienst) säkularisiert sich selbst ins Abseits einer seltsamen Endzeitstimmung, die das Versiegen der geistlichen Quellen weniger fürchtet als den Verlust der internet-irdischen Clicks und Claques. 

2. Das bedrohliche Gefährdungspotential der Gottesdienste (?) 

2.1. Sachfragen 

Während der Synode (14. bis 18. April 2021) der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) stand laut Tagesordnung zur Diskussion, ob die Kirchenleitung Präsenzgottesdienste untersagen oder mindestens eindringlich davon abraten solle. Begründet wurde das unter anderem damit, dass andere Kirchen das auch täten. Einen Teil der Diskussion kann man hier ab 8.51:10 nachhören: https://www.ekmd.de/aktuell/social-media/ekmsynode-april- 2021.html. Glaube und Heimat Nr. 16, S. 5 greift das Thema ebenfalls auf: Pro und Kontra – Gottesdienstbesuch mit Negativtest oder Impfnachweis? 

In der Begründung zum Antrag Drucksachen-Nr. 13.2/1 werden ausschließlich Argumente in Sachen Infektionsschutz, Gefahrenlage und Organisation behandelt. Hierzu ist in Kürze zu sagen:
Es hat in der EKM keinen einzigen nachgewiesenen Fall eines von Gottesdiensten ausgehenden Infektionsgeschehens gegeben, schon gar nicht eines gravierenden, der sofortiges Handeln erfordert hätte. Daraus darf und muss geschlossen werden: Die 

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Maßnahmen waren mindestens angemessen, möglicherweise sogar zu umfänglich. Anlass zu Verschärfungen bzw. entsprechenden Empfehlungen gibt es folglich erwiesenermaßen nicht. Eine Absage von Gottesdiensten würde auf das Infektionsgeschehen absolut ohne Einfluss bleiben. Zu welchem Ergebnis man bei einem Abwägungsprozess bezüglich der Schäden für Seele bzw. Psyche unweigerlich käme, bedarf keiner Erläuterung. Das könnte durchaus sogar ein Aspekt der politischen Unruhe um das Infektionsschutzgesetz sein.
Das Argument, man solle aus Gründen der Solidarität mit anderen Organisationen, Familien usw., deren Spielraum weit mehr eingeschränkt sei, die eigenen Aktivitäten ebenfalls, nun selbstauferlegt, einstellen, ist falsch verstandene Solidarität und deshalb gar keine. Vielmehr kann doch den reinen Sachargumenten folgend von anderen und für andere ebenfalls eingefordert werden, die Beschränkungen aufzuheben, weil in den Kirchen der Nachweis erfolgreicher Bemühungen erbracht wurde. 

2.2. Theologisch nachgefragt –haben wir noch etwas beizutragen? 

Nun zu den Themen, auf die wir unser Hauptaugenmerk zu legen haben, die aber in der Begründung des Antrages völlig ausgeblendet blieben:
Nach Art 4 Grundgesetz (GG) sind allgemein die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses unverletzlich. Dazu wird die ungestörte Religionsausübung gewährleistet. Das ist einerseits ein Abwehrrecht des Einzelnen aber auch der Kirche insgesamt gegen staatliche Einflüsse, zugleich aber auch Verpflichtung, die Freiheit des Glaubens und des Bekenntnisses zu leben und zu verteidigen. Weder vom Staat noch von der Kirche als Organisation selbst kann und darf es hier eine Verletzung geben. Im Sinne von CA 28 (Zweireichelehre Luthers) ist die Kirche als Institution bzw. Organisation dem weltlichen Regiment zuzuordnen, die als weltliche Gewalt nicht in die geistliche Gewalt greifen soll. Dass seitens der Kirchenleitung der EKM bei der Frage der Gottesdienste (Verkündigung und Verwaltung der Sakramente) keine starren Vorgaben erfolgten, sondern den Gemeinden nur Informationen an die Hand gegeben und Empfehlungen gemacht worden sind, ist deshalb vollkommen korrekt. Das bekräftigt die Entschließung (Drucksachen-Nr. 13.2/2) nochmals und klärt ihre Rolle: „Die Landessynode bestärkt die Mitarbeitenden in ihrem Dienst und ermutigt sie, sich bei ihrer Entscheidungsfindung Unterstützung bei Fachstellen, Kirchenkreisen und der Landeskirche zu suchen.“ Mehr nicht. 

Was hat es nun mit der Kirche im geistlichen Sinne auf sich? Dazu formuliert Philipp Melanchthon in der Augsburgischen Konfession (CA) von 1530 in Art. 28: „Das geistliche Regiment (Regierweise! Gottes!) besteht in dem Befehl und in der Macht, das Evangelium zu predigen, Sünde zu vergeben und zu behalten, die Sakramente zu reichen … usw“.
Nach CA 7 „Von der Kirche“ ist das konstitutiv für die Kirche:
„Es wird auch gelehrt, dass allezeit eine heilige, christliche Kirche sein und bleiben muss, die die Versammlung aller Gläubigen ist, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“
Die Kirche im Sinne des geistlichen Regimentes ist die Versammlung der Gläubigen, in der eben genau das passiert: Verkündigung und Sakramentsverwaltung. Das ist nicht verhandelbar. Geschieht es nicht, ist es eben im geistlichen Sinne nicht mehr Kirche, selbst wenn die weltliche Organisation Kirche juristisch, finanziell, digital usw. glänzend fortbesteht. Noch deutlicher formuliert wird das in der (meist ungeliebten) Verdammungsformel zu CA 5: „Und es werden die verdammt, die lehren, dass wir den Heiligen Geist ohne das leibhafte Wort des Evangeliums durch eigene Vorbereitung, Gedanken und Werke erlangen.“ Wenngleich die Liebe und der Fleiß digitaler Angebote anerkannt werden, wird in CA 5 doch vom „leibhaften Wort des Evangeliums“ geschrieben. Angesichts dramatisch zunehmender psychischer Erkrankungen ist der Weitblick der Reformatoren anzuerkennen, die um die Bedürfnisse der Seele(n) wussten und zutiefst besorgt waren. Wie wichtig direkte Kontakte sind, haben Psychologen und andere in den letzten Wochen hinreichend bestätigt, sodass ich es hier nicht ausführen muss.
Wenngleich es vor fünfhundert Jahren die Möglichkeiten des Bildschirms noch nicht gab, 

haben sie sich durch die damals neue Erfindung des Buchdrucks doch nicht dazu verleiten lassen, den leibhaften Gottesdienst zu relativieren und auf das Papier zu verbannen. 

Als Aufgabe der Kirche in der Sorge um und für die Seelen ist das Predigtamt eingesetzt (CA 5), Evangelium und Sakramente gegeben, durch die er den Heiligen Geist gibt, der den Glauben wirkt, dass wir durch Christi Verdienst einen gnädigen Gott haben. In CA 13 heißt es zu den Sakramenten, die unseren Glauben erwecken: „Darum fordern sie auch Glauben und werden dann richtig gebraucht, wenn man sie im Glauben empfängt und den Glauben durch sie stärkt.“ 

Keinesfalls darf die Kirche sich gerade in einer Krisensituation, wenn die Stärkung des Glaubens gebraucht wird, zurückziehen. Das Evangelium und die Sakramente darf sie niemandem vorenthalten, egal aus welchen Gründen, womit die Frage nach Impfung oder Testpflicht als Voraussetzung zum Gottesdienstbesuch gleich mit erledigt wäre. Oder führen wir jetzt die leugnungs- und virenfreien Weißwesten ein? Vielmehr sind alle Möglichkeiten für den Dienst am Wort Gottes für die Menschen auszuschöpfen, deren ungestörte Religionsausübung zu gewährleisten (GG Art. 4 Abs. 2). Das ist ohne das Predigtamt samt Abendmahl und Taufe nicht möglich. (Nebenbei sei angemerkt, dass die Kirche für die Verkündigung ein an das Beamtenverhältnis angelehntes Dienstverhältnis vorhält, um der Verpflichtung aus und an Gottes Wort abgesichert nachzukommen). 

Eine Kirche, die nicht zuerst die Auferstehung der Toten verkündigt, sondern schon vor einer diffusen Todesgefahr (noch dazu vorgeblich aus Gottesdiensten!) kapituliert, wird zum Salz, das nicht mehr salzt, und läuft Gefahr von den Leuten zertreten zu werden. (Mt 5,13: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“) 

Eine Gesellschaft, die sich gerade in beispielloser Weise im Infektionsschutz verliert, bedarf der Verkündigung des Evangeliums besonders. Zum Lob Gottes gehört jetzt die Stärkung des Vertrauens in seine Schöpfung. Zu dieser ist zweifellos und ohne Abstriche ein filigran erschaffenes Immunsystem zu rechnen (berechtigter Hinweis meines Sohnes: die Viren auch, denn was wissen wir schon, wozu die noch und überhaupt gut sind). Dafür können wir Gott gar nicht genug danken, auch in Präsenzgottesdiensten, denn sogar dort hat es bisher hervorragende Dienste geleistet, um unser kaum erforschtes (Innen-)Leben, bestehend aus Blut, Bakterien, Viren und was weiß ich noch alles, im Gleichgewicht zu halten. 

Eine Kirche, die der Erlösung und der Auferstehung vertraut, muss dem Tod eine andere Seite abzugewinnen imstande sein, so wie das unseren Vorfahren gelang. Sie sahen darin zuerst das Tor zum ewigen Leben, zum Reich Gottes. Gottesdienste sind deshalb keine Gedenkveranstaltungen für Tote, sondern dienen der Verkündigung der Auferstehung, selbst wenn sich ein Bundespräsident angemeldet haben sollte. 

Über eine Kirche, die vorauseilend der Absage von Gottesdiensten das Wort redet, wird man sagen: Das Fleisch war eifrig, doch der Geist war schwach. 

3. Zu hoffen gewagt oder zur Hoffnung berufen? 

Sind wir es, die mutig, selbstbewusst zu hoffen wagen? Haben wir als in den Dienst Berufene hier nicht Vorbild zu sein und das zu zeigen? Ich bin auch manchmal kleingläubig, Nachrichten vom Tod vertrauter Bekannter, auch an Corona Verstorbener, und Angehöriger setzen mir zu, selbstverständlich. Muss ich dann Stärke im Glauben beweisen? Ich halte das für eine der großen Versuchungen zum Schaden meiner Seele. 

Drei Sätze aus der Bibel, die mir geholfen haben, möchte ich benennen: 

Das Gebot: Josua an den Grenzen des gelobten Landes war von Zweifeln geplagt. Er bekommt nicht gesagt: „Sei mutig und stark!“ möglichst noch mir drei Ausrufezeichen. Zu ihm 

spricht Gott: „Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.“ (Jos. 1,9) Weil Josua es aus eigener Kraft nicht kann, weil Gott das weiß und Josua sogar auch das wissen soll, muss er es gar nicht erst aus eigener Kraft können. Er bekommt ein Gebot, verbunden mit einem Versprechen Gottes. Das geht und es führt zum Erfolg, sogar ganz irdisch. 

Die Kraft des Unvermögens: Als schon größeres Kind, gerade an meinen Fähigkeiten zur Selbstbehauptung zweifelnd, im sozialistischen Staat, der auch angebetet werden wollte, habe ich diese Sätze des Paulus entdeckt: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ (2. Kor. 12,9-10) 

Ich bin besiegbar, Christus nicht. Lass dir genügen, lass es dir genug sein. Selbstsicherheit, nicht nötig. 

Die Hoffnung: Es ist nicht unsere Hoffnung, nicht aus uns heraus. Es ist die Hoffnung, die Gott mit der Auferstehung seines Sohnes Jesus Christus gegeben hat. Man kann sogar sagen, sie ist Gottes Schöpfungswerk, nicht unsere Leistung. Wir können sie weder selbst bewirken noch vernichten. Sie entzieht sich unserer Verfügbarkeit. Doch Gott bietet sie uns an, schenkt sie uns. Wir können sie ergreifen, in vollem Bewusstsein mit ihr, mit ihrer Hilfe leben. Nur so wird sie eben doch zu unserer Hoffnung. „Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat.“ (Eph 1,18-20) 

Ich will darauf vertrauen, dass die lebendige Quelle nicht zur muffigen Zisterne verkommen oder versiegt ist. Sie wurde nur verstopft. Dahinter hat sich das Geschenk des Glaubens mit immer größerem Druck angestaut. Die Quelle wird wieder sprudeln, aber nicht weil Menschen sich überlegt haben, wie sie angenehm zu kanalisieren sei, sondern weil es die Kraft eines Geistes ist, der sich unserem Zugriff entzieht, sich aber dennoch uns zuwendet. Was sich dem Fluss seines reinen Wortes entgegenstellt, egal ob bös- oder gutwillig, mag meinen, es für eine Weile aufzuhalten bzw. in menschengewollten Gräben dezent fließen zu lassen. Doch das verstärkt lediglich die wachsende Übermacht auf der göttlichen und den Durst des verdorrten Bodens auf der menschlichen Seite, wie so oft in der Geschichte des Glaubens. Irgendwann und immer wieder wird der göttliche Wille überfließen, sich mit Macht Bahn brechen und die Zeitgeister hinwegschwemmen. Auch deshalb ist es gefährlich, sich an Letztere zu klammern, zu binden. 

Vertraut wird einer Kirche, die aus ganzem Herzen, mit getrostem Mut und freiem Mund standhaft „Ein feste Burg ist unser Gott“ zu singen vermag, besonders diese Strophe, die alles zusammenfasst, das A und das O, den Anfang und das Ende: 

Das Wort sie sollen lassen stahn und kein’ Dank dazu haben; er ist bei uns wohl auf dem Plan mit seinem Geist und Gaben. Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib:
lass fahren dahin, sie haben’s kein’ Gewinn, 

das Reich muss uns doch bleiben.* 

*In großer Klarheit bringt das Martin Luther in seinem Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zum Ausdruck, besonders in der vierten Strophe. Völlig zu Unrecht ist im Jahr des Reformationsjubiläums 2017 das Lied in die Kritik geraten, was zu der fatalen Entscheidung geführt hat, eben diese vierte Strophe im von der EKD herausgegebenen Liederbuch „Freitöne“ sogar ganz wegzulassen. Dadurch angeregt oder bestärkt, wurde sie in Deutschland (nur in Deutschland!) oft auch nicht mehr gesungen. Wenn Martin Luther dichtet: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib: Laß fahren dahin, sie habens kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben.“ ist 

das bei ihm gerade keine Geringschätzung der Frau oder auch des Kindes, wie ihm unterstellt wird, sondern das Gegenteil. Nach dem einzig unvergänglichen Reichtum des Reiches Gottes, beschreibt er, was ihm vom Vergänglichen das Allerwichtigste ist. An anderer Stelle in seinen Schriften (die ich leider im Moment in den 24 Bänden der von Johann Walch gesammelten Werke nicht sogleich wiedergefunden habe), steht alles in der umgekehrten Reihenfolge. Da findet sich das Weib an erster Stelle, gefolgt von Kind, Ehr und Gut, genau in der Folge, in der der Verlust uns am meisten schmerzt. Im Liedtext dagegen ist die umgekehrte Reihenfolge als Steigerung zu verstehen: Seine Frau ist das Letzte, was er herzugeben bereit wäre. Entscheidend ist für ihn jedoch, dass das Reich bleiben muss, denn dort bleibt bewahrt, was ihm am wichtigsten ist, selbst wenn es genommen wird: Katharina und die Kinder. Damit die Botschaft vom Reich Gottes nicht aus den Augen und aus dem Sinn gerät, beginnt die Strophe: „Das Wort sie sollen lassen stahn.“ Gemeint ist natürlich allein das Wort Gottes. Was für eine verhängnisvolle Fehlentscheidung war es, 2017 gerade diese Strophe in den Papierkorb der Kirchengeschichte zu werfen! – Anmerkung entnommen aus „Seid nüchtern und wachet“ http://www.thueringer- pfarrverein.de/neu/index.php/downloads/send/6-sonstiges/100-seid-nuechtern-und-wachet 

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