Freiheit aus Gottvertrauen – Vortrag von Pfarrer Martin Michaelis auf dem Kongress der „Ärzte für Aufklärung“ – 19.06.2022

Du sollst der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen folgen und nicht so antworten vor Gericht, dass du der Menge nachgibst und vom Rechten abweichst.

2.Mose 23,2

Liebe Gefährten, das Wort kommt nicht von „Gefahr“, sondern von „fahren“. Aber „Gefahr“ kommt auch von „fahren“. Wer fährt, ist in Gefahr. Unsere Vorfahren haben ihren Lebensweg immer als Fahrt zum Reich Gottes verstanden. Sie sahen und kannten die Gefahren am Wegesrand. Sie haben sich aber nicht von ihnen fixieren oder über das Notwenige hinaus aufhalten lassen, denn sie hatten ein Ziel vor Augen: Das himmlisch-ewige Leben. Das hat sie vor einem Irrweg, einer Irrfahrt bewahrt: Die Suche nach irdisch-ewiger Gesundheit. Sie haben Gesundheit nicht etwa geringgeschätzt, sondern nur richtig eingeordnet. Das taten sie so, dass sie darüber möglichst weder des irdischen noch das himmlischen Lebens verlustig gingen. Kurz zusammengefasst in Psalm 90,12 „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Das gewiss schmerzhafte Bedenken hat der sich modern wähnende Mensch gemeint, durch Geld und Fortschritt, neuerdings durch „technische Intelligenz“ ersetzen zu können, bringt sich damit aber um den Gewinn der Klugheit. Die Ursache für die Flucht vor dem Nachdenken ist die Angst vor Leid und Sterben. Beschrieben finden wir das Verhalten kleingedruckt in einer Randbemerkung der Bibelübersetzung Martin Luthers von 1534 zur Geschichte vom Sündenfall[1]: „Das war umb den abent / wenn die hitze vergangen ist / bedeut / das nach gethaner sund[2] / das gewissen angst leidet / bis das Gottes gnedige stim kome und widder kuele und erquicke das hertz / wie wol sich auch die blöde[3] natur entsetzet und fleucht[4] für dem Evangelio / weil es das creutz und sterben leret.“ Auf diese althergebrachte Klugheit, man kann sie auch Weisheit nennen, müssen wir uns besinnen, denn wenn es angesichts der Grenzen des Lebens allein bei menschlicher Klugheit bliebe, würde sie bald zu kalter Berechnung verkommen. Es bedarf der geistlichen Vergewisserung, der gnädigen Stimme Gottes. Erinnern wir uns: Die Demonstrationen 1989 begannen mit Friedensgebeten in den Kirchen. Das war sowohl insgesamt ihr Ursprung als auch der erste Versammlungsort an den Montagen, von denen man auf die Straßen strömte, sich gegenseitig ermutigte und geistlich zuversichtlich stimmen ließ. Wer diese Zeit miterlebt hat, verfügt über die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2020 in den Nachrichten mit Billigung der Kirchen – anders ist es kaum vorstellbar – ankündigte, dass zu Ostern und danach Gottesdienste ausfallen, also die Kirchentüren verschlossen bleiben werden, hieß das zwischen Zeilen, als Subbotschaft: „Die Kirche fällt als gesellschaftlich-kritische Größe diesmal aus! Verstanden?!“ Wer als Bürger oder als kirchlicher Amtsträger dem nicht entsprach, nicht unwidersprochen Folge leistete, hatte mit Repressalien zu rechnen. Diese blieben und bleiben tatsächlich nicht aus.

Um der Klugheit, der Vergewisserung willen lohnt es, sich der Erkenntnisse früherer Zeiten zu erinnern, insbesondere der während der Reformation gewonnenen. Die Reformation platzte nämlich nicht in das finstere Mittelalter, sondern in eine Zeit blühenden Lebens. Da trieb vieles frische Blüten: Kirchenbau und Reliquienhandel, Banken und Schulden, Geld und Korruption, Freizügigkeit, auch sexuelle, über die Martin Luther angewidert aus Rom zu berichten wusste. Einige wenige machten sich reich und die anderen erbarmungslos arm. Den einen wurde Angst gemacht, um die sich die anderen nicht scherten. Einige tobten sich aus und schickten andere zum Gebet in die Klöster. Unter dem Vorwand der Solidarität mit den Toten brachte man sie um ihr Geld, brachte es ins Ausland, finanzierte damit die Tyrannei. Diesen Handel mit dem schlechten Gewissen nannte man Ablass.

Zu drei ausgewählten Themen werde ich etwas sagen, wenngleich es ganz gewiss weitere theologische Grundentscheidungen gibt, die uns für heutige Entwicklungen Augen und Verstand zu öffnen vermögen.

  1. Impfpflicht[5] und das Recht auf Besitz als Lebensgrundlage

Zur anhaltenden Diskussion um eine Impfpflicht, auch der einrichtungsbezogenen, haben mich in den letzten Monaten viele angesprochen, zum Teil unter Tränen. Es ging um wirtschaftliche Existenzängste, vor allem aber um enorme psychische Belastungen. Wen wundert es, wenn die Drohung aufgebaut, gar in die Tat umgesetzt wird, jemanden nicht mehr arbeiten zu lassen, „freizustellen“, ohne jede Bezahlung, also weder Lohn noch Arbeitslosengeld. Wovon soll er leben?

Im 5. Buch Mose 24,6 steht: „Du sollst nicht zum Pfande nehmen den unteren und oberen Mühlstein; denn damit hättest du das Leben zum Pfand genommen.“ Es ist untersagt, jemandem die Existenzgrundlage zu rauben, so dass er sich sein Essen nicht mehr verdienen oder zuzubereiten vermag. Wenn vom Impfstatus abhängig gemacht wird, ob jemand arbeiten und damit sein Brot verdienen, sein Haus abstottern, seine Miete bezahlen kann usw., dann tritt genau der Fall ein: Da wird das Leben eines Menschen zum Pfand genommen. Angesichts der Vielfalt der Einschränkungen der letzten zwei Jahre sei an das Jesuswort erinnert: „Der Mensch lebt nicht allein vom Brot.“[6] (Lk 4,4).

Martin Luther schreibt dazu in seiner Auslegung des 5. Buches Mose (Walch Bd. 3 Sp. 2345) sinngemäß: „Dieses Gesetz lehret mit einem Sprichwort, daß man niemand sein Handwerk nehmen soll, davon er sich ernähret und wohnen kann. Es ist eine Wütherey grober Leute, daß sie die Schuldner in den Kerker werfen, bis sie uns ganz bezahlen, oder dass sie ihnen das Handwerk und Arbeit verbieten. Es ist grausam und unbillig, daß man jemandem zwiefältigen Schaden zufügt, damit er die einfache Schuld zu bezahlen gezwungen werde. Ein Schade ist, daß er seinen Mühlstein nicht gebrauchen kann: der andere, daß er anderswo neue Schulden machen, oder das Seine verkaufen muss.“[7]

Wer als Arzt oder Pfleger arbeitet, auch in der Sparkasse, der Anwaltskanzlei oder im Theater, hat sich mit einem Eid verpflichtet oder sich vorgenommen, Menschen in leiblicher Not oder auf anderem Wege zu dienen. Wem wegen einer fehlenden Impfung diese Arbeit, dieser Dienst am Nächsten verwehrt wird, bei dem kommt noch ein dritter Schaden hinzu: eine Belastung des Gewissens, weil er für seine Patienten oder diejenigen, für die er da sein möchte, nicht mehr da sein kann. Da wird sogar noch deren Leben zum Pfand genommen.
Das verbietet die Bibel und deshalb darf es keine Gesetze oder Verordnungen geben, die es legalisieren, den Schein des Rechts darüberlegen. Wer bezüglich der Impfpflicht Bußgelder androht, gar von Beugehaft, also Kerker, spricht, der legt selbst Hand an, um Menschen in Schulden bringen, um ihr Leben endlich als Pfand nehmen zu können. So fühlen sich derzeit viele und genau das kritisierte schon Martin Luther. Für ihn gehört auch der Besitz, also „Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut“[8] dazu, mit dessen Hilfe man sich und den Seinen das Leben erhält. Er geht hier von einer sehr weitgehenden Unabhängigkeit bezüglich der Lebensgrundlagen aus. In einer ausdifferenzierten Gesellschaft, in der nicht jeder mehr seine Grundbedürfnisse vollständig selbst und aus eigenem Besitz erarbeitet, muss dennoch ein Mindestmaß an Unabhängigkeit gewährleistet bleiben. Nichts zu besitzen bedeutet die totale Abhängigkeit und führt deshalb keineswegs das Glücklichsein herbei. Wenn alle nichts besitzen, scheint das zwar von der Logik her zu bedeuten, dass niemand etwas besitzt. Die Praxis sieht aber anders aus: Fast alle besitzen nichts und fast niemand besitzt alles. Das bedeutet, der Besitz einschließlich jeglichen Kapitals wird in wenigen Händen konzentriert, mit der Folge, dass diese das Leben aller Nichtsbesitzenden zum Pfand nehmen. Mit jüdisch-christlichen Glaubenstraditionen ist das unvereinbar.

In der Bibelübersetzung Martin Luthers von 1534[9] findet sich im Buch der Sprüche Salomos[10] eine kleingedruckte Randerklärung: „Ein reichen schilt man / aber gibt in umb geld los / Ein armer mus her halten / Wer nicht geld hat / bezalet mit der haut.“
Wie treffend für eine (einrichtungsbezogene) Impfpflicht, erzwungen mittels Bußgeld: Wer kein Geld hat, bezahlt mit der Haut.

  1. Der Mensch als Ebenbild Gottes

Erinnern wir uns kurz der Zwei-Regimentenlehre Martin Luthers: Das Wort Gottes als geistliches Regiment und die weltliche Obrigkeit als Ordnungsmacht, beide verdanken sich der ein(z)igen Obrigkeit Gottes und unterstehen ihr zugleich. Über diese Erkenntnis der Reformation dürfen wir nicht schweigen und das sollten, ja müssen wir zusammendenken mit der Ebenbildlichkeit des von Gott erschaffenen Menschen. Beide Regierweisen haben dafür zu sorgen, dass die Ebenbildlichkeit unangetastet erhalten bleibt und gelebt werden kann. Das geistliche Regiment sorgt für die Seele, gibt Trost angesichts von Leid und Sterben, und das weltliche Regiment für die äußeren Lebensumstände, schafft Frieden, um in Ruhe arbeiten zu können, und Rechtssicherheit, damit uns niemand beklaut und sei es noch so gut organisiert, gar legalisiert. Beide haben sich gegenseitig an ihre Aufgaben zu erinnern und die Erfüllung dieser zu ermöglichen, ohne sich miteinander zu vermengen. (Tun sie es nicht, haben sie übrigens ihren Anspruch auf Anerkennung verwirkt. Das führe ich jetzt nicht weiter aus.)

Für uns, die wir für das geistliche Regiment einzustehen haben, gelten immer noch Martin Luthers mahnende Worte: „Denn der Teufel feyret und schläfet nicht. Also muss das geistliche Regiment, warlich, auch nicht feyren noch schlafen, sonst ist es verloren.“[11] Es ist eine doppelte Gefahr. Zum einen: Es wird das Wort Gottes, das trösten und stärken kann und soll, nicht verkündet. Zum anderen: Kommen die Kirchen ihren geistlichen Aufgaben nicht nach, bedienen stattdessen fortlaufend andere, politische Themen, nutzen gewissermaßen ihre „Arbeitsmittel“ nicht, werden andere danach greifen und sie an sich reißen, was pseudoreligiösen Tendenzen Tür und Tor öffnet.[12]
Die Gefahr ist und bleibt real, die Gelüste zur Vermengung der beiden Regierweisen, der Nutzung der Religion für allzu Weltliches werden an die Kirchen tatsächlich herangetragen, an andere Berufsgruppen auch. Das tat vor wenigen Tagen der „ExpertInnenrat der Bundesregierung zu Covid 19“[13]. Zur „Widerlegung von Falschinformationen“ und für ein „Verhaltensmanagements“ das „eine Intensivierung der Impfkampagne umfasst,“ übrigens „für Personen ab einem Alter von 5 Jahren“! Dazu sollen „religiöse FunktionsträgerInnen“ „rekrutiert“ werden. Dank Luthers Erkenntnissen können und müssen wir dieses Ansinnen unter Hinweis auf die Zwei-Regimenter-Lehre grundsätzlich zurückweisen, schon vor einer Prüfung, ob dem Anliegen etwas abzugewinnen, ob es ethisch vertretbar ist oder nicht. Kurze Antwort: Das ist nicht unsere Aufgabe, da mache ich nicht mit!

Zurück zur Ebenbildlichkeit der Menschen: Der Mensch wurde von Gott zu seinem Ebenbild, zu seinem Gegenüber erschaffen. Er gehört nicht nur Gott, sondern Ebenbild Gottes zu sein, das ist seine Bestimmung. Gott will sich mit ihm unterhalten. Deshalb hat niemand anderes über ihn zu bestimmen, schon gar nicht, wie er als Mensch zu sein hat (z.B. geimpft oder ungeimpft), wem er was zu glauben hat, was er als goldenes Kalb anzuschauen, d.h. anzubeten hat, wie und wie lange er zu leben hat, schon gar nicht ob man ihn etwa „umprogrammieren“ kann, usw.. Wer etwas anderes zu seiner Bestimmung machen will, der setzt sich zum einen an Gottes Stelle, weil er sich das Bestimmungsrecht über den Menschen anzueignen sucht. Und zum anderen: wer will, dass der Mensch nicht mehr auf Gott schaut, seine Hoffnung auf ihn richtet, sondern auf etwas anderes, tut nicht nur dem Menschen Gewalt an, sondern beraubt Gott seines von ihm selbst erschaffenen Ebenbildes, mit dem der sich gerade unterhalten wollte, eine Frechheit ohnegleichen. In beiden Fällen legt er sich mit Gott an!
Ich hoffe und vertraue darauf, dass Gott mich hüten wird, wie seinen Augapfel[14]. Darin begründet sich für mich alle Zuversicht und Freiheit.

  1. Freiheit, Schalkheit, Tyrannei

Im Jahr 1526 schreibt Martin Luther an Philipp Gluenspies in Mansfeld von der christlichen Freiheit: „Aber wenn sie so schalken wollten, und vorgeben, sie wären schwach, und die Liebe solches zulasse, wollen sie damit hereinbrechen, und den Schein erwecken, als sollte es nicht Noth, noch Gesetz seyn; sondern ihnen zu Dienst geschehen. … Weil es denn nun nicht mehr zu vermuthen ist, dass es aus Schwachheit geschehe, was sie vorgeben, … achte ich, es sei eitel Schalkheit, damit sie wollen unter der Liebe Deckel und der Schwachheit Schein ihre Tyranney erhalten.“[15]

Dass Luther überhaupt von Freiheit geredet und geschrieben hat, war erstaunlich, neu und mutig. Dass wir über Freiheit reden, haben wir ganz wesentlich auch ihm und der Reformation zu verdanken, gefolgt von der Freiheit der Wissenschaft bis hin zum wirtschaftlichen Wohlstand. Sollten etwa auch deshalb zu Ostern 2020 die Kirchentüren dicht gemacht werden? Luther hat von Freiheit geredet, um sie zu erringen. Heute reden viele von ihr, um sie nicht zu verlieren. Und viele reden in atemberaubender Geschwätzigkeit von ihr, damit man nicht merken soll, wie sie verschwindet, während ihr auf leisen Sohlen die Freiheit der Wissenschaft und der wirtschaftliche Wohlstand folgen und sich ebenfalls davonschleichen.

Bekannt sind uns die beiden Schlüsselsätze aus Martin Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ aus dem Jahr 1520. Es sind zwei Merksätze, der erste gegen Tyrannei, der zweite für die Nächstenliebe:
„Ein Christenmensch ist ein freyer Herr über alle Dinge und niemandem unterthan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbar Knecht aller Dinge und jedermann unterthan.“
[16].
Auf diese Sätze sollen wir zuzugreifen, um sie gegebenenfalls als Kriterien für Entscheidungen des Alltags anwenden zu können.

Beim Freiheitsbegriff denken wir zuerst daran, dass man uns nicht einschränkt im Bewegungsradius von Auto, Füßen, Gedanken und nicht zu vergessen: der Mund. Das ist mehr die äußerliche Freiheit, die das Grundgesetz bisher abzusichern hatte. Sie wird gerade ausgehöhlt. Am Beispiel des Anspruchs demonstrieren zu dürfen geschieht das rechtlich, praktisch und psychisch, letzteres mit einer den Glauben (die Religion) tangierenden Komponente. Es wird nämlich das Gefühl erzeugt, es drohe dadurch Todesgefahr:
– einmal durch staatliche Gewalt, sichtbar durch martialisch bewaffnete, brutal vorgehende Polizei und blutende Demonstranten
– zum anderen durch die Demonstranten untereinander, sichtbar gemacht mittels Maskenpflicht
– zum dritten wird postuliert, die Demonstranten verursachten eine gesamtgesellschaftliche Todesgefahr, die auch Unbeteiligte treffen wird, sichtbar und hörbar gemacht durch Medienberichte von überfüllten Intensivstationen.
Festgehalten werden darf an dieser Stelle, dass die erstgenannte die einzig reale Gefahr war.
Eine religiöse Komponente wird medial produziert durch eine Langzeit- und Breitenwirkung gerade dieses Todes mit irdisch-höllischem Ausmaß, durch Vergleiche und Bilder früherer Katastrophen, z.B. der Pest[17]. Höllisch nenne ich es, weil man es vorgeblich durch wohlfeiles Verhalten, peniblen Gehorsam und nicht sachdienlichen Maßnahmen, früher sagte man durch „sündenfreies Leben“ verhindern kann.

Martin Luthers Verständnis von Freiheit ist ein anderes als das heutige, jedoch ist es gerade deshalb hilfreich, weil die gegenwärtige Behandlung des Themas pseudoreligioöse Züge angenommen hat. Ihm geht es zuerst um die innere Freiheit, die sich sogar unabhängig von der äußeren zu machen vermag. Er schreibt:
„Nehmen wir uns den inwendigen, geistlichen Menschen vor, zu sehen, was dazu gehört, dass er ein fromm, frey Christenmensch sey und heiße. So ists offenbar, dass kein äußerlich Ding mag ihn frey noch fromm machen, wie es mag immer genennet werden. … Was hilfts der Seelen, dass der Leib ungefangen, frisch und gesund ist, isset, trinkt, lebt, wie er will? Wiederum, was schadet das der Seelen, dass der Leib gefangen, krank und matt ist, hungert, durstet und leidet, wie er nicht gerne wollte? Dieser Dinge reicht keines bis an die Seelen, sie zu befreyen oder zu fangen, fromm oder böse zu machen.“[18]

Das ist von immenser Bedeutung. Martin Luther hat zuerst geistlich gedacht, die innere Freiheit zu erlangen gesucht und erforscht, worauf sie sich gründet. Äußere Freiheiten sind lediglich eine Folgeerscheinung, eine Erfolgserscheinung der inneren Freiheit, notfalls jedoch verzichtbar. Gewinnt man die äußere, hat man noch lange nicht auch die innere erlangt. Geht die Äußere verloren, muss das für die innere nicht gleichermaßen gelten. Es gibt nur eines, das nicht verloren gehen darf: „So müssen wir nun gewiß seyn, daß die Seele kann alles Dinges entbehren, nur nicht des Wortes Gottes. Ohne das Wort Gottes ist ihr mit keinem Ding geholfen. Wo sie aber das Wort hat, so (be)darf sie auch keines anderes Dinges mehr; sondern sie hat in dem Wort genug, Speise, Freude, Friede, Licht, Kunst, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freyheit und alles Gute überschwenglich.“[19]

Mit diesen Worten im Ohr fragen wir nun nach den Konsequenzen für unser Tun und Lassen, wie uns diese Schrift Luthers zu Klugheit, zu Weisheit verhelfen kann.
Die Frage nach der Freiheit eines Christenmenschen ist nämlich zugleich die Frage nach seinem Gottvertrauen. Man kann keines ohne das andere haben.
Wenn wir also nach der Freiheit fragen, sie (wieder)erlangen wollen, es unsere Freiheit werden soll – und daran muss jeder und jede Generation für sich unter den jeweiligen Anfechtungen arbeiten – können wir die ernste Frage nach dem Gottvertrauen nicht umgehen. Wie weit reicht es? Die Berechnung der durchschnittlichen Lebenserwartung war die Versuchung. Sie machte uns anfällig und führte uns auf einen Irrweg: die Überschätzung physischen Lebens gegenüber dem seelischen und zuletzt dem ewigen Leben. Die Kirchen sind ihn (mit)gegangen, nachzulesen in Verlautbarungen, sichtbar geworden mit abgesagten Gottesdiensten oder dem unter Masken erstickten Lob Gottes.
Sollte uns das passiert sein, schon über einen längeren Zeitraum, aber fast unübersehbar offenbar in den letzten zwei Jahren? Dann war und ist das der Rückfall aus der Freiheit in die Gefangenschaft. Für die Kirchen und wohl auch für die Gesellschaft ist es nicht einfach die Coronakrise, sondern eine zutiefst geistliche Krise, eine Krise der so lange geradezu höhnisch belächelten Frömmigkeit, so tief, dass man das Wort kaum noch verwenden konnte. Es bedeutet Treue und Vertrauen. Da mag jeder selbst bedenken, ob beides in unserer Gesellschaft hinreichend vorhanden ist, gegenüber Gott und untereinander.
Es geht höchstwahrscheinlich um viel mehr als wir ahnen, sowohl politisch als auch geistlich! Es beginnt mit Erkenntnisverboten, gefolgt von Denkverboten, zuletzt und im effektivsten Falle selbst auferlegt. Das ist die Zerstörung der Wissenschaft. Und geistlich: Wer sich die Freiheit nehmen lässt, hatte das Gottvertrauen bereits aufgegeben, verloren. Das ist die Zerstörung des Glaubens.
Die letzten Worte aus Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ könnten deshalb aktueller und wegweisender nicht sein:

„Siehe, das ist die rechte geistliche Christliche Freyheit,
die das Herze frey machet
von allen Sünden, Gesetzen und Geboten:
welche alle andere Freyheit übertrifft wie der Himmel die Erde.
Welche gebe uns Gott recht zu verstehen und behalten, Amen.“[20]

 


Pfarrer Martin Michaelis
Kongress der „Ärzte für Aufklärung“
Hamburg 19. Juni 2022


 

[1] Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch, Hans Lufft 1534, 1. Buch Mose 3,8

[2] Sünde

[3] altes Wort für „schwache“

[4] flieht vor

[5] Auf die Problematik, dass es sich bei dem verabreichten Material nicht um Impfstoffe im herkömmlichen Sinne handelt, die Verwendung der Vokabel also eher irreführend ist, wird hier nicht näher eingegangen.

[6] Jesus greift hier auf 5.Mose 8,3 zurück: „Er demütigte dich und ließ dich hungern und speiste dich mit Manna, das du und deine Väter nie gekannt hatten, auf dass er dir kundtäte, dass der Mensch nicht lebt vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des HERRN geht.“ Die Formulierung in Mt 4,4 „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ scheint als Gegen- bzw. Zusatz lediglich auf Gottes Wort hinzuweisen, verbunden mit der Gefahr, es auf das gesprochene Worte Gottes zu reduzieren also z.B. die Bibel. Im Sinne der Schöpfungsgeschichte ist mit „alles, was aus dem Mund Gottes geht“ vielmehr gemeint: die gesamte Schöpfung, die allein durch sein Wort entstand, gipfelnd in seinem Odem, mit dem er dem Menschen das Leben einhaucht, die Lebendigkeit, die nur im Zusammenleben des in zwei Teilen erschaffenen oder in zwei Teile zerlegten Menschen, Mann und Frau, Adam und Eva, Erfüllung finden kann. Abstandhalten ist also biblisch gesehen keine Option, sondern schlicht wider den göttlichen Willen.

[7] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Fünfter Theil“ Halle 1741, Spalten 1235, §107(Auslegung des 101. Psalms)

[8] Kleiner Katechismus, Evangelisches Gesangbuch Nr. 905

Luthers Erklärung zur vierten Bitte des Vaterunsers: Unser tägliches Brot gib uns heute.

Was ist das?

Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.
Was heißt denn tägliches Brot?
Alles, was Not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.

[9] Biblia, das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch, Hans Lufft 1534

[10] Spr. 13,8: „Mit Reichtum muss mancher sein Leben erkaufen; aber ein Armer bekommt keine Drohung zu hören.“ Luthers kleine Erklärung führt zum Verständnis: Während ein Reicher sich vor Gericht freikaufen kann und nur gescholten wird, bekommt der Arme diese Möglichkeit nicht, lediglich gescholten zu werden und muss sich in die Knechtschaft begeben.

[11] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Fünfter Theil“ Halle 1741, Spalten 1235, §107(Auslegung des 101. Psalms)

[12] Z.B. fordert die Regierung für sich Vertrauen in einem Maß ein, das bisher Gott zukam, dessen Wirken nicht hinterfragt werden konnte, weil der Mensch an seine Grenzen kam, sie auch kannte. Die Regierung verbietet das Hinterfragen, obwohl die Fragen beantwortet werden könnten, ja müssten: „Die (Regeln) dürfen nie hinterfragt werden.“ (Lothar Wieler am 28.07.2020). Das ist ein beispielhaft pseudoreligiös erzwungenes Vertrauen.
Selbst das Alte Testament eröffnet hier ganz andere Möglichkeiten:
Genesis 32,28ff.: „Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.“ Fazit: Mit Gott darf man kämpfen, streiten, darf sogar gewinnen und wird dafür obendrein gesegnet. Warum soll das mit Menschen, auch denen einer Regierung, nicht möglich sein?

[13] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/997532/2048684/0e393c7cf5d2b3a556fa6a8df6352d11/2022-06-08-stellungnahme-expertinnenrat-data.pdf?download=1

Pandemievorbereitung auf Herbst/Winter 2022/23: Nachhaltige Strukturen schaffen

  1. Stellungnahme des ExpertInnenrates der Bundesregierung zu COVID-19 vom 08.06.2022, S. 15f.

[14] Der Vergleich macht überdies Sinn, wenn man den Verlust, das Wegnehmen der Ebenbildlichkeit als eine Raub betrachtet und zum Verstehen den Propheten Sacharja heranzieht: „Denn so spricht der HERR Zebaoth, der mich gesandt hat, über die Völker, die euch beraubt haben: Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ Sach 2,12

[15] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Neunzehenter Theil“ Halle 1741, Herausgegeben von Johann Georg Walch, Spalte 1241f. Schreiben an Philipp Gluenspieß

[16] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Neunzehenter Theil“ Halle 1741, Herausgegeben von Johann Georg Walch, Spalte 1207f.

[17] Zum Vergleich: Bei der Pestepidemie in Magdeburg im Jahr 1681 starben innerhalb von sechs Monaten 2500 von 7000 Einwohnern der Stadt. Da mag jeder selbst überschlagen, ob der Vergleich angemessen war.

[18] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Neunzehenter Theil“ Halle 1741, Herausgegeben von Johann Georg Walch, Spalte 1208

[19] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Neunzehenter Theil“ Halle 1741, Herausgegeben von Johann Georg Walch, Spalte 1209, Ergänzungen in Klammern zur besseren Verständlichkeit

[20] D. Martin Luthers sowol in Deutscher als Lateinischer Sprache verfertigte und aus der letztern in die erstere übersetzte Sämtliche Schriften. Neunzehenter Theil“ Halle 1741, Herausgegeben von Johann Georg Walch, Spalte 1235

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