Erklärung zur Freiheit der Kirche

1. Kirche

  • Die evangelische Kirche ist mehr als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Auch wenn sie eine Institution in dieser Welt ist, ist sie ihrem Wesen nach nicht von dieser Welt.
    Die Kirche gehört zum Reich Gottes und ist damit grundsätzlich getrennt von allem, was in dieser Welt Macht ausübt. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist; und gebt Gott, was Gottes ist“  (Markus 12, 17). „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, tun ihren Völkern Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht!“ (Markus 10, 42-43).
  • Die Kirche ist Kirche, weil sie einen Herrn hat. Gott hat ihr Jesus Christus zum Haupt gesetzt (Epheser 1, 22). Wo sie auf dieses Haupt hört und sich darauf ausrichtet, ist sie Kirche. Andernfalls ist sie tatsächlich nur eine Körperschaft öffentlichen Rechts.
  • Kirche ist ekklesia, die Gemeinschaft der Herausgerufenen. Herausgerufen aus den jeweiligen Häusern und aus gesellschaftlichen Lebensbezügen und Bindungen. Gerufen, in real präsenter leibhafter Gemeinschaft Gottesdienst zu feiern und das Mahl des Herrn zu halten (Apostelgeschichte 2, 46), weil nur so der Leib Christi Wirklichkeit wird. Durch die Gemeinschaft der Christen in Gottesdiensten, Verkündigung und vor allem im respektvollen Miteinander, strahlt Gott selbst in die Welt.

2. Freiheit

  • Christus allein ist die Wahrheit (Johannes 14, 6). Kein Mensch hat sie. Deshalb muss in der Kirche das freie Gespräch miteinander möglich sein. Nur so kann alles geprüft und das Gute erhalten werden (1.Thessalonicher 5, 21). In der Kirche darf es keine Denkverbote geben und niemand darf aufgrund seiner Haltung und Überzeugung disqualifiziert werden – auch nicht wenn der Staat oder die Medien Haltungen und Überzeugungen diffamieren, ausgrenzen oder gar kriminalisieren. Weil Christen wissen, dass Wahrheit höher ist als die menschliche Vernunft, kann eine christliche Kirche mit unterschiedlichen Überzeugungen ihrer Glieder leben und auch die Überzeugungen von Minderheiten tragen.

3. Auftrag

  • Weil sie Christus als Herrn hat, darf die Kirche den staatlichen Organen nur gehorchen, solange deren Gesetze, Verordnungen und Handlungen nicht den Geboten Gottes widersprechen. Insbesondere wird das Verhältnis zu staatlichen Organen problematisch, wenn der Staat versucht, mit  Verhaltensregeln, Geboten oder Verboten in das religiöse Leben der Kirche einzugreifen. Die Kirche darf sich in Ausübung und Ausgestaltung von Gottesdiensten und Verkündigung nicht durch staatliche Vorgaben reglementieren lassen. „Man muss Gott  mehr gehorchen als den Menschen“ (Apostelgeschichte 5, 29).
  • Die mittleren und höheren Verwaltungseinheiten der Kirche (z. B. der Oberkirchenrat), überschreiten die ihnen zustehende Funktion und Kompetenz, wenn sie die Gottesdienste und das Gemeindeleben vor Ort einschränken.
    Wenn Gottesdienste und übriges Gemeindeleben überhaupt eingeschränkt oder verkürzt werden sollen, so hat dies die örtliche Gemeindeleitung (Kirchengemeinderat) zu entscheiden und zu verantworten.
  • Natürlich findet das Leben der Gemeinde und das Feiern von Gottesdiensten nicht in einem von der übrigen Welt separierten Bereich statt. Doch auch wenn staatliche Eingriffe mit Gefahr für Leib und Leben begründet werden, schafft das für die Kirche keine grundsätzlich neue Situation.
    Die Kirche hat in jeder möglichen Lage durch Verkündigung und Leben zu bezeugen, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur (Römer 8, 38-39).

4. Jeder hat Zutritt

  • Ein charakteristischer Wesenszug von Jesus war, dass er niemanden ausgeschlossen hat. Kranke, sogar ansteckend Aussätzige, hat er berührt. Menschen, die damals aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, hat Jesus in seine Gemeinschaft eingeladen.
    Deshalb darf eine christliche Kirche niemandem den Zutritt zum Gottesdienst zu Gemeindeveranstaltungen und zur Gemeinschaft verweigern, auch nicht denen, die vom Staat oder der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen werden.

Filderstadt, 19.09.2022

Pfr. Matthias Bilger, Pfr. Tobias Ehret, Pfr. Dr. Tobias Eissler, Pfr. Lukas Frei, Pfr. Normann Grauer, Pfr. Markus Haag, Pfr. Volker Hommel, Pfr. Steffen Kaupp, Pfr. Dirk Kubitscheck, Pfr. Manfred Mergel, Pfr. Ernst Nestele, Pfr. Dr. Werner Neuer, Pfr. Michael Rau, Pfr. Sebastian Schmauder, Pfr. Matthias Trick, Pfr. Frieder Vogt und weitere 24 evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer der Württembergischen Landeskirche