Rezension zu dem Buch: „Menschenwürde im Intensivstaat: Theologische Reflexionen zur Coronakrise“

Rezension zu:

Oleg Dik, Jan Dochhorn, Axel Bernd Kunze:  »Menschenwürde im Intensivstaat? Theologische Reflexionen zur Coronakrise«

Bd. 54 in der Reihe: ›Philosophie interdisziplinär‹ / S. Ruderer-Verlag, Regensburg 2023 / 258 Seiten / ISBN: 978-3-89783-998-4 (br.)


Die Nordkirche lud im Frühjahr 2024 ein zu einer ersten Tagung, um den kirchlichen Umgang mit den staatlichen Corona-Maßnahmen aufzuarbeiten: »Versöhnungsarbeit ist Schwerstarbeit«, hieß es dort. Verschiedene Wissenschaftler, darunter der Wiener Theologe Prof. Dr. Ulrich H.J. Körtner, haben die Corona-Politik inzwischen kritisch beleuchtet. Nun äußern sich drei Theologen aus dem ›Netzwerk Wissenschaftsfreiheit‹ ebenso kritisch mit dem Buch: »Menschenwürde im Intensivstaat?« in ›theologischen Reflexionen zur Corona-Krise‹ und fügen dabei eine Fülle von Anmerkungen und Literaturhinweisen hinzu. Um es gleich vorweg zu betonen: Das Buch braucht eine große Leserschaft in breiten Teilen der Gesellschaft, fragt es nicht zuletzt danach, welche Lehren für die Zukunft aus den Erfahrungen der Corona-Pandemie auch für andersartige Ent-/Verwicklungen zu gewinnen sind.

Die fünf anspruchsvollen Beiträge der drei Theologen stehen auf hohem wissenschaftlichen Niveau, entfalten staatsphilosophische und verfassungsrechtliche Grundlagen zum Verhältnis von Staat und Kirche, von Politik, Demokratie, Recht und Moral. Dabei handelt es sich um jeweils eigenständige Beiträge, die von verschiedenen Standpunkten und Perspektiven ausgehen. So unterschiedlich die Artikel der drei Autoren nun aber auch ausfallen, in der Konsequenz sind sie sich sehr nahe und geradezu einig: »aus den Erfahrungen mit der Corona-Krise sollten deutliche Lehren gezogen werden« (51) und: »So werden auch Kirche, Sozialethik, Theologie ihre eigene politische Verantwortung und ihre Gesprächskultur innerhalb der Corona-Krise selbstkritisch // aufarbeiten müssen« (51f.). Axel Bernd Kunze formuliert als ein Resümee: »In den coronapolitischen Wertkonflikten sind die Kirchen (und auch die Theologie) diesem Auftrag zu politischer und kultureller Diakonie nicht befriedigend gerecht geworden, was zur Selbstbesinnung und Umkehr deutlich Anlass geben sollte« (54). Einzugestehen ist: Kirche ist schuldig geworden, gerade auch gegenüber Sterbenden, die allein gelassen wurden und einsam verstarben / gerade auch, wenn Teilnehmerlisten für Bestattungsanlässe vorab im Rathaus oder im Friedhofsamt eingereicht werden mussten.

Die drei Autoren betonen durchgehend das freie Recht auf körperliche Unversehrtheit (nach Art. 2,2 GG) — beklagen jedoch diktatorische und gar totalitäre Tendenzen, wenn z.B. mit dem Entzug des Krankenversicherungsschutzes gedroht wurde und mit der Freistellung vom Arbeitsplatz (etwa in Pflegeheimen)(11). Nicht geleugnet werden kann: Es wurde polarisiert, polemisiert, politisiert, moralisiert, emotionalisiert, diffamiert, ausgegrenzt, ignoriert, denunziert, verachtet, verdächtigt, zensiert, stigmatisiert, verunglimpft, nach ›rechts‹ abgedrängt: so jemand es auch nur wagte, sich mit Vorbehalten kritisch zu äußern und dem sog. Mainstream von Politikern und Virologen zu widersprechen. Die staatlichen Eingriffe bedeuten einen Tiefschlag in die Grundrechte, in die Meinungsfreiheit, in das Recht auf freie Impf-Entscheidung. Dazu hätte es nicht kommen dürfen.

Der Neutestamentler Prof. Jan Dochhorn, der sich eigener Erklärung nach sehr wohl hat impfen lassen — beginnt nach seiner separaten ›Einführung‹ ins Buch seinen Beitrag: »Paradoxologia Theologica« mit einer umfangreichen Analyse der Gesellschaft aus theologischer (Röm. 7,7-25), philosophischer, sozial-psychologischer und wirtschaftspolitischer Perspektive — ehe er sich mit einzelnen konkreten Beispielen von Politikern und Kirchenführern befasst (»Impfen ist Nächstenliebe«), auch mit Polizei-Einsätzen, mit der medialen Aufbereitung, mit dem Inlandsgeheimdienst (131). Grenzen zu Nachbarstaaten wurden zeitweilig geschlossen. Weihnachts- und Ostergottesdienste wurden abgesagt. Dochhorn fragt: »Was die Ausgangssperre in der Weihnachtszeit gebracht habe?« (151). Er hinterfragt die Unverhältnismäßigkeit der vermeintlichen Schutzmaßnahmen (die sich nicht zuletzt aus dem Vergleich mit skandinavischen Staaten ergibt), beklagt ihren »modern-autoritativen Charakter« (103, 111 u.a.) und die verbreitete Illusion, als wären Geimpfte nicht mehr infektiös. Mussten Schulen geschlossen, Produktionsstätten stillgelegt und Lieferketten abgebrochen werden (152)? Noch einmal Jan Dochhorn: »Die Kirche, die in der Pandemiepolitik als kritische Instanz ausgefallen ist, zeigt sich, wo immer es geht, um gesellschaftspolitische Relevanz bemüht. Um Relevanz bemüht, hat sie sich als irrelevant erwiesen« (158).

Der Theologe und Soziologe Prof. Oleg Dik schreibt auch aus religionswissenschaftlicher Sicht seinen Artikel: »Die zerrissene Menschenwürde – Corona als Symptom einer theologischen Krise« — und konstatiert »massenpsychologisches Verhalten« (203) für die Zeit des Ausnahmezustandes über zwei Jahre hinweg. »Der Abbruch der Kommunikation führt zur Ausgrenzung des Anderen« (189). »Die zweifelnde Minderheit wurde durch die Politik und Medien durch Abwertung diskriminiert. Sie wurde sowohl moralisch wie auch kognitiv als minderwertig dargestellt. Ihre Argumente wurden a priori nicht zugelassen« (206). Und: ».. renommierte Professoren beklagten die zunehmende Unfreiheit der Forschung bezüglich der Covid-19 Forschung« (209).

Der Theologe und Privatdozent für Erziehungswissenschaft Axel Bernd Kunze steuert zwei Beiträge bei, zum einen: »Gesprächsstörungen. Eine sozial- und bildungsethische Ursachensuche im Angesicht der Coronakrise« — zum anderen: »Intensivstaat und zivilgesellschaftliche Staatsbedürftigkeit. Sozial- und freiheitsethische Betrachtungen zum Staatsverständnis (nicht nur) in Coronazeiten«. Kunze betont: »Jede Impfung stellt grundsätzlich einen Eingriff in die menschenrechtlich geschützte körperliche Unversehrtheit dar und birgt ein Risiko. Daher darf über eine Impfung, für die es ganz sicher gute Gründe gibt, nur der Einzelne in Freiheit selber entscheiden« (223). Selbst die Befürworter und die Verfechter der Impfkampagne müssten dafür einstehen, dass die Freiheits- und Entscheidungsrechte des je einzelnen Bürgers gewahrt bleiben, »die Achtung vor dem freien Subjekt« (41, 47). Und: »Der Staat hat seine öffentliche Schutzaufgabe erfüllt, sobald ein Impfangebot für alle vorliegt. Mehr kann und darf der liberale Rechts- und Verfassungsstaat nicht fordern« (239). Dem allerdings widerspricht eine »Politik der Impfnötigung und der versuchten allgemeinen Impfpflicht« (7) mit »Sanktionen für Impfverweigerer« (26).

Vorausblickend warnt Kunze davor: »wenn es möglich werden sollte, Grundrechtseingriffe künftig nahezu automatisch mittels internationaler Pandemieübereinkommen unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchzusetzen« (38). Was Kunze 2023 noch nicht wissen konnte: die Pläne für einen WHO-Pandemievertrag mit weitreichenden Befugnissen liegen im Februar 2024 in Genf auf dem Tisch.

Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot votiert dafür, »einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzurichten, die coronapolitischen Grundrechtsverstöße juristisch aufzuarbeiten, die Ausgegrenzten zu rehabilitieren und die Opfer zu entschädigen« (242).

Kritisch anzumerken bleibt, wie von offizieller Seite der Regierungen, aber auch von Wissenschaftlern, die sich eindeutig (alternativlos?) auf die Seite der Impf-Befürworter gestellt haben: wie mit den Kritikern auch aus dem Kreise der Wissenschaftler umgegangen wurde, wie schnell diffamiert und ins Abseits befördert wurde. Wissenschaftsfreiheit sieht anders aus. »Mangelnde Unvoreingenommenheit« (29) wie »mangelnde Streitkultur« (30) liegt vor.

Eine eigene Anmerkung zum Schluss:

Braucht es in einer gesunden Demokratie nicht sog. Querdenker im Unterschied zu den im Mainstream angepassten Zeitgenossen? Enthielte der bisher negativ besetzte Begriff nicht eine Art von verkapptem Kompliment? Und könnten es nicht gerade im positiv gemeinten Verständnis eben solche Querdenker sein, die ein aufmerksames, wachsames, kritisches, loyales Pendant bilden zu den politisch, wirtschaftlich, sozial, kulturell Verantwortlichen in der Gesellschaft? Braucht also eine gesunde Gesellschaft nicht gerade solche mündigen Staatsbürger voller Zivilcourage, die den gesellschaftlichen Diskurs beleben und voranbringen, die sich ggf. vernetzen und ihre kritische Stimme in die Waagschale werfen? Solche Staatsbürger zu deklassieren, schadet einer Gesellschaft, die sich demokratisch verstehen will. Also: Es braucht »das freiheitlich-widerspenstige Potential echter Bürgerlichkeit« (242).

Dr. Hans-Gerd Krabbe

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